Das Kommissbrot und seine 3 Kaisersemmeln

Es war einmal ein Bäcker. Und der hatte eine Frau. Der Bäcker backte jeden Tag viele Sorten an Broten und ließ von seinem Konditor Torten und Konfekt herstellen. Seine Frau arbeitete in seinem Laden und verkaufte die im Schweiße des Angesichts des Bäckers gebackenen Backwaren [...]. Da kam eines Morgens der Sohn eines Wirtschaftsprüfers, der im selben Stadtviertel wohnte, und fragte: "Ich bin der Sohn des angesehenen Wirtschaftsprüfers Gühns. Ich wollte fragen, ob ihr mir wohl ein Kommissbrot und drei royal köstliche Semmeln gebt, ich komme heute Mittag wieder, dann zahle ich." Der Sohn des Wirtschaftsprüfers war ein gutaussehender, vertrauenserweckender junger Mann, und die Frau des Bäckers sah keinen Grund, ihm zu misstrauen. So gab sie ihm das Kommissbrot und die drei Semmeln im Vertrauen. Der junge Herr Gühns freute sich sehr, da er das Geld für das Brot zu Hause vergessen hatte und den Zorn seines strengen Vaters fürchtete, falls er mit leerer Tasche zurückkäme. Er dankte der Bäckersfrau und machte sich fröhlich auf den Weg nach Hause. Plötzlich jedoch begegnete er einem bellenden Dackel an der Leine seines streng katholisch dreinblickenden Herrchens und zuckte zusammen wie die Katze des Nachbarn, die schon zwei Hunden die Sehkraft ausgekratzt hatte. Und der Hundehalter sagte zum erschrockenen und wütenden Herrn Gühns: "Ach, das macht doch nichts, der beißt schon nicht." Doch der junge Herr Gühns hatte Angst und trat den Dackel mit dem rechten Fuß so heftig in den Brustkorb, dass der kleine Hund meterweit durch die Gegend flog und hechelnd und winselnd am Boden lag. Dann schlug Herr Gühns dem Hundehalter mit voller Wucht und geballter Faust ins Gesicht, so dass er bewusstlos zu Boden ging. Vielleicht war es nur so, weil er das Geld vergessen hatte und sein Vater so streng war, aber eigentlich tat er es mit Genuss, denn er hasste Hunde und ihre Halter schon seit seiner frühen Kindheit. Wieder und wieder musste er an den kleinen Finger, den er durch den grausamen Biss eines Schäferhundes verloren hatte, denken und so fand er es richtig. Als der junge Herr Gühns nach Hause kam, stand sein Vater in der Tür und fragte:"Na, Sohn, hast du Dummkopf mal wieder das Geld vergessen?? Ich habe es in der Küche liegen sehen." Er erzitterte. Meistens bedeutete das mal wieder Ohrfeigen und Arschtritte. Und so war es auch. Der Vater lief zu ihm hin und schrie:"Du elender missratener Sohn, was habe ich dir gesagt? Man vergisst das Geld nicht zu Hause!!" Und mit voller Wucht bekam er eine Ohrfeige, gefolgt von einem Schubs ins Haus und einem Arschtritt. Der Vater packte seinen Kopf und stieß ihn schreiend auf das Geld:"Vergisst man so was vielleicht, hirnloser Idiot?!" Bittend und bettelnd erklärte ihm der junge Herr Gühns, dass er ja trotzdem Brot gebracht habe und es heute Mittag bezahlen wolle. Der Vater ließ von ihm ab, schrie und tobte aber noch eine ganze Weile. Danach erzählte er beim Frühstück etwas über die Geschichte des Unternehmers, der die Kaisersemmel erfunden hatte. Doch der junge Herr Gühns hörte gar nicht mehr zu. Er war schon dabei, seine Flucht vor dem Vater zu planen und möglichst dem Hundehalter zu entwischen, den er niedergeschlagen hatte. Davon wusste sein Vater glücklicherweise nichts. Der aß seine Semmel und fuhr danach zur Arbeit, nicht ohne seinem Sohn zu drohen:"Geh mir das heute noch bezahlen, sonst setzt es was!!" Als er weg war, setzte sich Hempel Gühns, der Sohn des angesehenen Wirtschaftsprüfers Borke Gühns, vor seinen Computer und beschäftigte sich mit dem Fernstudium, das sein Vater ihm aufgezwungen hatte. Hempel wollte eigentlich gar nicht Programmierer werden, er war einfach nur gut in Mathematik und konnte logisch denken, aber sein Vater hatte gleich nach dem Realschulabschluss die Unterlagen bestellt und gesagt:"Hempel, das ist gut für deine Zukunft, ich kenne so viele Firmen, die Programmierer suchen. Du machst das jetzt, denn ich habe kein Geld und keine Geduld, um dich hier ewig auszuhalten." Borke meinte das sehr ernst, denn nach der Scheidung von seiner Frau Huldegarde musste er sehr viel Unterhalt zahlen, auch für Hempel. So programmierte Hempel über Mittag eine ganze Weile, und Borke musste im Außendienst ein Maschinenbauunternehmen überprüfen. Hempel wusste natürlich nicht, dass Borke bei jedem Unternehmen Anteile erhielt und sie auf einem Konto in der Schweiz nur für sich selbst anlegte, aber er wusste, dass sein Vater ihn umbringen würde, wenn er nicht bald davonkäme. Und das wollte Hempel mehr als alles andere. Mühsam konzentrierte er sich und vergaß fast, das Kommissbrot und die drei Kaisersemmeln zu bezahlen. Kurz bevor sein Vater wieder kam, machte er sich also auf den Weg zur Bäckerei Schimpel, dieses Mal mit Geld und gutem Willen. Kurz vor der Bäckerei mußte Hempel durch eine enge Gasse zwischen zwei großen Mietshäusern, und da passierte es. Vier junge Räuber stellten sich ihm in den Weg und forderten ihn mit gezogenem Messer auf:"Rück die Kohle raus, Stricher!" Hempel konnte es gar nicht mehr fassen, das auch noch. Doch auch wenn der Vater von Hempel streng und gewalttätig war, so hatte er in weiser Voraussicht seinen Sohn schon im Kindesalter in das beste Kampfsportzentrum der Stadt geschickt, und so hatte Hempel natürlich längst den schwarzen Gürtel in Karate und Judo. Zuerst fragte er die vier Möchtegern - Mafiosos:"Hat euch jemand geschickt oder macht ihr das zum ersten Mal?" Da trat der größte der Vier auf ihn zu und sagte mit drohender Stimme:"Halt die Fresse und rück endlich die Kohle raus, du Stricher!!" Hempel trat einen Schritt zurück und sagte mit ruhiger und leiser Stimme: "Ich habe kein Geld dabei, und ihr solltet jetzt besser ganz schnell die Fliege machen. Ich warne euch nur einmal!!" Plötzlich zuckte der Arm des Größten nach vorne, und da verlor Hempel sofort die Beherrschung. In einem Sekundenbruchteil lag der Stecher mit gebrochener Schulter und seinem eigenen Messer im Rücken auf dem Boden. Die anderen drei konnten gar nicht schnell genug reagieren, um noch weglaufen zu können, und so lagen sie nach drei gezielten Kombinationstechniken vor Schmerzen wimmernd auf dem Boden. Hempel zog das Messer aus dem Rücken des Größten und nahm auch den anderen die Messer ab. Dann sagte er:"Wenn ihr das noch einmal versucht, dann schicke ich euch zu euren Ahnen, ist das klar!?" Er packte den Größten an seinem pomadigen Pferdeschwanz und fragte ihn mit zischender Stimme:"WER hat euch geschickt?" Außer einem leisen Wimmern sagte der Stecher nur noch einen Namen:"... Wonnte, er hat uns die Messer gegeben." Ächzend verlor er das Bewusstsein, und Hempel schaute sich um. Doch niemand hatte etwas gehört oder gesehen, und so lief er weiter. Er dachte:`Wonnte. War das nicht der Hundehalter von heute Morgen?` In der Bäckerei bezahlte er das Kommissbrot und die drei Kaisersemmeln, während Frau Schimpel ihm lächelnd zunickte und sagte:"Das geht schon klar." Zufrieden, aber verunsichert durch die merkwürdigen Möchtegern - Räuber, ging Hempel auf einem Umweg nach Hause. `Wonnte. Konnte das sein? Der katholische Depp und sein Dackel hat doch gar keine Mafia - Kontakte. Das ist doch ein harmloser Spießer`, dachte er, und ahnte nicht im Geringsten, was für eine Lawine er heute losgetreten hatte. Es dämmerte bereits in Rabenkotzingen, als Hempel und Borke zu Abend aßen, und der Vater fragte:"Na, Hempel, hast du deine Lektionen heute gemacht ?" Nickend stocherte Hempel in seinem Essen, und bei jedem Bissen musste er an die Mafia denken. Und an Wonnte. Er kannte Wonnte eigentlich gar nicht. Der wohnte ein paar Blocks weiter in einem Bungalow und war Rentner. Wie konnte der ein Mafiosi sein? Plötzlich klingelte es an der Türe. Hempel zuckte zusammen, sofort dachte er, dass die Polizei vor der Türe stehen müsse. Doch es war nur die Nachbarin, Frau Gurkin. Sie fragte, ob Hempel ihren Kater gesehen habe, und ob er etwas von den Tierquälern wisse, die derzeit durch das Viertel zogen. "Nein, Frau Gurkin, keine Ahnung, aber wahrscheinlich war das ein Hundehalter, der Katzen gar nicht mag. Sehen sie, ich habe keine Haustiere, da kann man wirklich froh sein." Hempel war erstaunt. Tierquäler? Katzen? Er hatte doch einen Dackel getreten. Borke kommentierte trocken:"Das kommt mal wieder davon. Haustiere und ihre Halter." Eigentlich hatte Hempel erwartet, dass bald die Polizei vor der Türe stehen würde, aber irgendwie schien sich in diesem Stadtviertel Rabenkotzingens Einiges von selbst zu regeln. Das bekam Hempel in der folgenden Nacht auch zu spüren. Um drei Uhr morgens wachte Hempel von einem lauten Klirren auf. Schlaftrunken schaute er zum Fenster seines Zimmers und sah nur noch einen Rahmen. Auf dem Boden lag ein schwarzer Stein, eingebunden in ein Blatt Papier. Erschrocken nahm er das Blatt Papier und las mit zitternden Händen: `Du bist tot, Stricher.` Jetzt wusste Hempel endgültig, warum die Polizei nicht gekommen war. Er hatte einen Mafiaboss niedergefaustet und seine vier Kollegen von der Straße getreten. Die gingen wohl kaum zur Polizei. Wenigstens hatte Borke nichts gemerkt, denn Hempel hörte sein lautes Schnarchen bis in sein Zimmer. Doch was sollte er mit dem kaputten Fenster machen? Es würde wieder Ärger mit seinem Vater geben, das wusste er jetzt schon. Und, wie schon oft in letzter Zeit, musste Hempel an die vielen merkwürdigen Verrückten denken, die derzeit Rabenkotzingen auf Trab hielten. Die Mafia war ja schon schlimm genug, aber dass die Polizei Psychos auf Mafiosos hetzte und damit ständig Blutbäder anrichtete, war wirklich grausig. So saß er erschrocken und nachdenklich mitten in der Nacht in seinem Zimmer. Es wehte kein allzu starker Wind und der Nieselregen nässte auch nicht gerade das ganze Zimmer, aber an Schlaf war natürlich nicht zu denken. Um Borke nicht aufzuwecken, machte sich Hempel auf leisen Sohlen in den Keller, um Plastikfolie und Klebeband zu holen. Dann klebte er die Folie auf den Fensterrahmen und blickte von seinem Sessel aus durch die milchige Folie in die Nacht. So blieb er bis morgens sitzen, zwischen Wachen und Schlafen, mit merkwürdigen Träumen.

Dann klingelte Borkes Wecker. Grummelnd ging er ins Bad und griff zum Elektrorasierer, wobei er wie üblich einen Stromschlag verpasst kriegte. "Verdammte Scheiße, das hört ja gar nicht mehr auf!!", schrie er und schlug gegen die Wand. Als er gestern die Maschinenbaufirma überprüfte, bekam er schon an der Firmentüre eine gewischt. Wie das sein konnte, wusste er nicht, aber es ärgerte ihn schon den ganzen letzten Tag. Hempel gegenüber hatte er natürlich nichts erwähnt, der junge Streuner würde es sowieso nicht erklären können. Schon seit einigen Wochen passierte ihm das jeden Tag. Die Schuhe hatte er auch schon gewechselt, an den Gummisohlen konnte es also nicht liegen. Müde und genervt schlurfte er in die Küche und rief:"Hempel! Brot holen!" Hempel schloss noch vorsichtshalber seine Türe ab und stolperte die Treppe hinunter zu Borke. "Geh mal Brot holen, Hempel." "Klar, Borke." "Und vergiss das Geld nicht." Müde und besorgt lief Hempel zur Bäckerei Schimpel. Und wieder kreisten seine Gedanken um die Mafia und den merkwürdigen Tag gestern. "Drei Kaisersemmeln und ein Baguette, bitte." Frau Schimpel gab ihm das Brot und fragte:"Na, alles in Ordnung bei euch, Herr Gühns ?" "Ja, sicher, Frau Schimpel, stimmt so." "Schönen Tag noch." "Ebenso, auf Wiedersehen, Frau Schimpel." Hempel fand es wieder irgendwie merkwürdig. Trotzdem stapfte er tapfer nach Hause, wieder auf dem neuen Umweg, um Ärger zu vermeiden. Als er vor dem Haus stand, dachte er:`Zum Glück sieht man das nicht so von außen.` Beim Frühstück fragte Borke:"Na, Hempel, gestern alle Übungen gemacht? Wann kannst du mir denn das erste Programm zeigen?" Hempel schluckte. Am liebsten hätte er ein Abitur und ein Informatik-Studium, dann könnte er endlich mal seinen Vater beeindrucken. Aber so hatte er nur ein paar ziemlich sinnlose mechanische Übungen. "Bald, Borke, wahrscheinlich habe ich in einer Woche oder so eine kleine Hilfestellung für Wirtschaftsprüfer fertig. Das ist aber nur eine Übung in dem Kurs, den ich gerade belege." "Na, das hört sich doch gut an." Borke dachte sowieso nur wieder an die nächste Firma, die er überprüfen musste, dieses Mal eine Pharmafirma, die Hormone herstellte. Und da Hempel ihm mal wieder schmeichelte, kriegte er das kaputte Fenster auch gar nicht mit. Vielmehr dachte er an das mittlerweile dicker werdende Konto in der Schweiz, das heute ganz bestimmt noch dicker werden würde. "Also, dieses Weißbrot ist wirklich nicht gerade gut. Bring doch das nächste Mal wieder ein Kommissbrot", sagte Borke mürrisch, und Hempel erwiderte trocken:"Alles klar, Chef." Das sagte er manchmal, wenn ihm der Kommandoton auf den Wecker ging. Außerdem nervten ihn Borkes Gewohnheiten manchmal echt gewaltig, so wie zum Beispiel die Gewohnheit, immer anderthalb Kaisersemmeln und eine Scheibe Kommissbrot zum Frühstück zu essen. Er aß zwar aus Hörigkeit immer dasselbe, aber nicht weil er es mochte. Er wusste auch nicht, warum ausgerechnet Kaisersemmeln und Kommissbrot das A und O des Frühstücks sein sollten. Borke verließ das Haus mit einem abwesenden Gesichtsausdruck und erinnerte Hempel noch an die ausstehenden Übungen, die er sich wohl heute Abend ansehen mochte. Er nickte müde und sah Borke in seinem Volvo Kombi davonfahren, wohl wissend, dass er jetzt erstmal einen Glaser organisieren musste. Doch welchen Glaser konnte man in Rabenkotzingen bestellen, ohne in eines der Mafia - Fettnäpfchen zu treten? Was Hempel noch nicht wußte, war, dass es keinen gab. Deshalb rief er auch den falschen Glaser an. "Glaserei Brosteller, was kann ich für sie tun?", meldete sich eine hohe Frauenstimme mit leichtem polnischem Akzent. "Ja, guten Tag, Hempel Gühns hier. Ich möchte mein Zimmerfenster reparieren lassen, und zwar noch heute, wenn es geht." "Ja, bei uns ist heute noch jemand frei. Ich schicke ihn gleich vorbei, wenn es ihnen recht ist." Erstaunt über die prompte Reaktion gab Hempel gleich seine Adresse durch und bereitete schon mal das Fenster vor. Dann setzte er sich wieder an seinen Computer, schließlich stand er mittlerweile ja ziemlich unter Druck. Eine Stunde nach dem Telefonat war er dann schon da. Ein ziemlich großer und bulliger Handwerker mit ziemlich lächerlicher Top - Gun - Sonnenbrille stand vor ihm und fragte:"Hempel Gühns?" Ziemlich verdutzt sagte Hempel:"Ja, kommen sie doch gleich rein. Hier lang." Gemeinsam gingen sie die Treppe nach oben und schauten sich die zu erledigende Arbeit an. "Ja, das ist kein Problem, das habe ich dabei. Dauert nur eine halbe Stunde." Erleichtert ließ Hempel den Mann seines Amtes walten. Hempel arbeitete auch währenddessen an seinem Rechner und schaute dem Glaser erst gar nicht zu. Ablenkung von den Schrecken der Nacht war alles, was er jetzt brauchte. Sein Wirtschaftsprüfungsprogramm nahm auch allmählich Gestalt an, und so wollte er es schnell fertigschreiben.

"Herr Gühns? Wollen Sie eine Rechnung?" Überrascht schaute Hempel ihn an und erwiderte rasch:"Nein, nein, ich zahle das bar. Was macht es?" Selbst jetzt hatte der Glaser seine ziemlich lächerliche Top-Gun-Brille nicht abgenommen. "Das wären dann 250 Euro." Fast seine kompletten Ersparnisse der letzten drei Monate waren jetzt futsch. Leicht genervt begleitete er den Glaser zur Tür, der auch noch mit einem feisten Grinsen eine merkwürdige Rechtfertigung von sich gab. "Wissen Sie, Herr Gühns, gute Arbeit hat halt ihren Preis. Das hält jetzt sicher sehr lange. Einen schönen Tag wünsche ich ihnen noch, Herr Gühns." Ja, ja. Noch genervter schaute er dem Top-Gun-Glaser hinterher, der in seinem schrottreifen Brosteller-Transporter davonstotterte und mobil telefonierte. Er knallte die Türe zu. Er schaute sich erst jetzt das Fenster etwas genauer an. Es war leicht zerkratzt und hatte ein leicht hervorstehendes Quadrat in der linken oberen Ecke, aber das fiel ihm gar nicht auf. Der extreme Wutausbruch seines Vaters, der einem fehlenden Fenster gefolgt wäre, beschäftigte ihn dann doch mehr. Wenigstens das konnte er abwenden, auch wenn er längst am Grübeln war über diesen merkwürdigen Glaser. Brosteller. Er musste das vergessen, und so stürzte er sich in die anstehende Arbeit am Rechner.

"Ja, Herr Gühns, wussten Sie denn nicht, dass wir so die meisten Steuern sparen, hahaha." Dröhnend lachte Herr Bummkertert und plötzlich hatte Borke einen Tropfen Spucke auf der Backe. Es wurde immer unangenehmer in der Firma dieses feisten Fettsacks, der doch glatt einen Riesenbetrug abzog. Aber was soll´s, er war es ja gewohnt, und so gab er ihm geflissentlich die Nummer seines Schweizer Kontos. Wie immer war alles geklärt. Nur Borke war heute viel genervter als sonst. Sein total bescheuerter Sohn nervte ihn, der Betrug nervte ihn, die andauernden Stromschläge, und vor allem dieser feiste spuckende Fettsack. "Wissen Sie, Herr Bummkertert, ganz ohne Steuern geht es auch nicht", erwiderte er zynisch. Da lachte der Fettsack noch dröhnender in seinem Chefsessel, und Borke hatte noch einen Tropfen Spucke im Gesicht, dieses Mal auf der Stirn. Entnervt wischte er ihn weg und sagte schnell:"Also dann, Herr Bummkertert, es hat mich gefreut, ihre profitable Firma zu prüfen." Angewidert, aber höflich wie immer reichte er dem Fettsack die Hand und verabschiedete sich. Innerlich fluchend zog er den Autoschlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Schloss. "AAAutsch!!!" Schon wieder einer dieser Stromschläge. Immer noch lachend und mittlerweile auf den Telefonhörer spuckend, rief Herr Bummkertert erst mal Frau Brosteller an. "Ja hallo, Ludmilla, alles erledigt? Ist das Glas drin?" Frau Brosteller antwortete mit lachendem Unterton:"Ja, das ist ein Glas, das hält ein Leben lang." Borke hatte schon früher davon gehört, dass Bummkertert wirklich nicht gerade loyal war, aber irgendwie versuchte er auch jetzt noch, es zu ignorieren. Erst gestern sah er bei den Brostellers, von denen er auch schon zu viel wußte, eine Rechnung für die Pharmafirma rumliegen. Ihm schwante Übles. Schnell lenkte er sich mit Gedanken an sein Schweizer Bankkonto ab und rechnete schon mal den neuen Saldo im Kopf nach. Vielleicht hatte der nutzlose Hempel ja doch bald mal sein Programm fertig. So fuhr er also nach Hause. Damit auch ja nichts schiefgehen konnte, dachte Hempel daran, ein nettes Essen zuzubereiten und den Lieblingswein seines Vaters zu öffnen. Es gab Artischockenpizza und Mozzarella- Salat mit Balsamico. Genervt und doch angenehm überrascht vom zubereiteten Essen, setzte sich Borke an den Tisch. "AAAutsch !!!" Jetzt kriegte er schon von der Gabel eine gewischt. Hempel sagte lieber gar nichts. "Na, Sohn, was hast Du denn heute so programmiert?" Erstaunt über die Freundlichkeit Borkes antwortete er:"Heute habe ich die restlichen Oberflächen optimiert. Wenn Du willst, kann ich es dir nachher mal zum Testen geben." Borke lachte. "Das wäre ja was. Mein Sohn als Subunternehmer." Irgendwie erstaunte es Hempel schon, dass der Kontrollfreak schlechthin, sein Vater, das reparierte Fenster nicht bemerkte. Er hatte nicht mal den Rolladen unten. Das beruhigte ihn aber auch nicht. Oft musste er an Wonnte denken, an die Hoffnung, nicht doch noch verprügelt zu werden. Gemeinsam saßen sie noch bis in die Nacht vor den Rechnern. Borke fand es zum ersten Mal gar nicht so schlecht. Hempel träumte in der Nacht den seltsamsten Traum seines Lebens. Er lief durch eine vom Nebel regelrecht verdunkelte Stadt und hörte die Stimme seiner Ex-Freundin Sabrina leise wimmern. 'Oh, Hempel, was hast Du nur getan?' Plötzlich lösten sich Schatten aus dem Nebel und hefteten sich an seine Schuhe, woraufhin er anfing zu laufen und in seiner Hosentasche nach seinem Taschenlaser griff. Die Schatten fingen an, seine Schuhe aufzulösen, und er stolperte. Verzweifelt drückte er auf den Einschaltknopf und strahlte auf die Schatten. Da fing er plötzlich an, nach oben zu schweben und in der Luft zu schwimmen. Der Nebel fing an, sich aufzulösen, und er sah in der Mitte der Stadt ein riesiges Fadenkreuz, immer noch ganz beduselt vom Gefühl der Schwerelosigkeit. Er bemerkte plötzlich, wie sich ihm Gestalten in der Luft näherten, und als er sie erkennen konnte, sagte er total paralysiert 'Das bin ja ich'. Mit diesem Satz auf den Lippen wachte er schweißgebadet auf. Er schaute auf den Wecker und stellte erstaunt fest, dass es schon 7:00 Uhr war, obwohl er dachte, es sei noch mitten in der Nacht. Schnell sprang er unter die Dusche und machte sich fertig zum Brot holen, wie immer. Borke war noch gar nicht wach, da musste sich Hempel dieses Mal wenigstens den Kommandoton nicht anhören. Der Traum war schon schlimm genug. Auf dem Weg zur Bäckerei mußte er ständig an seine Ex-Freundin denken. Sie hatten sich damals im Streit getrennt, und er war der Verlierer. Und wieder fragte sich Hempel, warum sein Leben eigentlich so bescheuert und armselig war. Schließlich konnte er ja Karate und Judo, warum klappte eigentlich der Rest nicht. "Ja, danke, Frau Schimpel, ich richte es aus." Sein Vater hatte der Bäckerei letztes Jahr bei der Steuer ziemlich gut geholfen, da hatte Borke immer noch einen Stein im Brett.

Am nächsten Morgen ging Hempel wie gewohnt zur Bäckerei Schimpel. Plötzlich wisperte eine wunderschöne junge Frau in der Warteschlange zu Hempel: „Hey, Hempel, du bist doch der Sohn von Borke? Ich habe von deiner Kunst der Selbstverteidigung gehört. Kannst du mir vielleicht helfen?“ Vor der Bäckerei verabredeten sich die schöne, junge Frau mit dem tiefen Ausschnitt ihres blauen, kurzen Kleides und Hempel zu einem Treffen im Bistro Stellaristo. Hempel war ganz angetan von der Schönheit und wollte mit seinem Sakko kurz vor der Fertigstellung seiner Software und dem Durchbruch seiner eigenen Firma unbedingt seriös wirken. Am nächsten Tag im Bistro Stellaristo kam er daher mit einem extra von der Reinigung gebügelten Hemd an den verabredeten Tisch und schaute der Schönheit über den tiefen Ausschnitt in ihre tadellos mit Mascara verzierten, rehbraunen Augen. Er war sich sicher, ihre Büstenhalter-Größe betrug mindestens 75 D, wenngleich er sich bei Sabrina auch bei 2 Größen getäuscht hatte. „Hallo, Hempel, ich freue mich, dass du gekommen bist!“ „Hallo, Sandy, ich freue mich sehr, dich zu sehen.“ Ihre Augen blitzten so magisch auf wie bei seinem ersten Treffen mit Sabrina. Nach der Bestellung bei der Bedienung mit den glitzernden Stickereien auf der Kleidung kamen sie sofort eifrig ins Gespräch. „Nach all den Jahren der Demütigung verfolgen und erpressen sie mich immer noch. Da habe ich von deiner mutigen Aktion gegen Wonnte gehört. Kannst du mir helfen?“ Noch während Hempel an seine eigene Situation dachte und eine Lösung der Probleme zu ersinnen versuchte, sah er plötzlich die wahre Natur Sandys. Plötzlich saß ein grauer Außerirdischer mit riesigem, grauen Kopf und blitzenden, weißen Augen vor ihm. Die Umgebung verschwamm, und plötzlich tauchten riesige, stählerne Wände hinter Sandy auf. Hempel verlor das Bewusstsein. Er wollte zusagen. Der Schönheit aus der Patsche helfen. Sein Abenteuer als Software-Entwickler schien erst zu diesem Zeitpunkt wirklich zu beginnen. Niemand hat ihn seit diesem Treffen je wieder gesehen. Borke Gühns ging an jenem Tag nach dem Frühstück wie gewohnt seinem gelernten Beruf als Steuerprüfer nach. Er traf sich mit der Glaserei Brosteller und den übrigen Kunden wie gewohnt, um seine Altersvorsorge in der Schweiz zu sichern. Sein neuer Pflegesohn für den Unterhalt seiner Ex-Frau wartete schon auf seine Rückkehr von der Arbeit.

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